Dieses Jahr – es wird wohl nichts werden mit einer weihnachtlichen Überraschung, wie ich sie fast jedes Jahr durchführe. Ihr wisst ja, dass ich mein ganzes Geld, das ich mit meiner schriftstellerischen Arbeit verdiene, verschenke. Durch Corona kann ich, keine Events durchführen und die Verlage, bei denen meine Bücher verlegt werden, melden keine Absätze.
Ich bin traurig darüber. Was soll ich, was könnte ich schreiben, so kurz vor dem Fest? Zurzeit werden die Wörter wie Hoffnung, sei gut zu dem anderem, Nächstenliebe, Integration, Migration, Hilfe, Patenschaften und mehr, zweckentfremdet. Sie bekommen einen ganz anderen Sinn. Die Botschaft von der Weihnacht – Hoffnung auf Erlösung – es krümmt mir arg den Magen: Die Kirchen sind geschlossen. So etwas gab`s noch nicht einmal, als die Pest grassierte und Millionen starben. Die Botschaft wird über Videokanäle und Streamingportale verbreitet. Nur was ist mit denen, die sich so etwas nicht leisten können, dies nicht haben? Alleingelassen im Glauben von denen, die einst ausgesandt wurden, um Menschen zu fischen? Hetzerisch, ketzerisch sind die Worte der Journalisten, kriegsführend die Gedanken derer, denen wir unsere Stimme gaben, und einsam sind diejenigen, die besonders geschützt werden, die einsam sterben, weil sie besonders geschützt werden.
Weihnachten, wusstet ihr, dass es Bestrebungen gibt, dieses Wort aus unserer Sprache zu tilgen und es durch ein anderes lapidares unbedeutendes Wort zu ersetzen?
Vor ein paar Tagen, es war feucht-kalt. Die Kälte kroch in die Knochen und trieb mir die Gänsehaut den Rücken hinauf. Ich wollte raus, spazieren, was anderes sehen und hören. Ich zog mich warm an. Ein dicker grauer Pullover sollte mich wärmen und die dicken Sohlen meiner orthopädischen Schuhe sollten verhindern, dass die Kälte über die Füße in meinen Körper fand. Ich nahm meinen warmen Ledermantel aus dem Schrank und eine Mütze aus dem Schubkasten. Mit dem Auto führ ich zu einer Großstadt, die als Wahrzeichen einen bunt beleuchteten hohen Schornstein hat. In der Dunkelheit der Nacht steht der beleuchtete Schornstein wie ein großer fleischloser Finger, so knöchern, gen Himmel. Unweit von ihm parkte ich und ging einfach los. Mein Weg führte mich zu den Häusern, die voll von Graffitis sind. Weiter hinten stehen kaputte Wohnwagen und in den „Ruinen mit leeren Fensterhöhlen“ wohnen die etwas anderen, die Penner, Obdachlose und Aussteiger. Und dazwischen standen ein paar Pennertonnen, die wohlige Wärme abstrahlten. Hier fand ich sie, lachend, diskutierend, trinkend und rauchend. Sie standen um die Blechernen und wärmten sich an der Glut. Es war mir schon etwas mulmig, dort in der Dunkelheit entlang zu „flanieren“. Ich wechselte mit ihnen ein paar Worte und trankt einen Schluck aus dem mir angebotenen Flachmann. Das Zeug, das in mich floss, zwang mich fast in die Knie. Gelächter drang aus einigen fast zahnlosen Mündern und ihr Atem nahm mir fast den meinen. Seltsam war es schon. Es war, als kannten wir uns ewig. Fast außerhalb des Feuerscheins traf ich auf einen Mann – sein Alter konnte ich nicht schätzen – der Alkohol, die Not und das Schicksal hatten ganze Arbeit geleistet – mit ihm sprach ich lange über das Leben, die Welt und sein Leben. Er fror sehr. Die Sachen, die er trug, waren schmutzig, löchrig und nichts für die Jahreszeit. Er zeigte mir seine „Schlafstatt“ nicht nur für die heute Nacht: Es waren Kartons. Als ich mich verabschiedete, zog ich meinen dicken Ledermantel aus und legte ihn über seine Schulter, drehte mich um und ging. Er kannte nicht meinen Namen – er heiß Victor.
Ich war ganz schon durchgefroren, als ich zum Auto kam. Heißes Wasser, das etwas später aus meiner Regendusche zu Hause auf mich fiel, vertrieb auch den letzten Rest der Kälte. Ein paar Stunden später, als ich mich in meine Federbettdecke einkuschelte, gingen noch einmal meine Gedanken zu diesem Ort – ja, wie nennt man ihn eigentlich – sah vor meinen Geist die Menschen, die kaputten Wohnwagen, die Ruinen und die aufgeschichteten Kartons und auch die Pennertonnen, die Licht, und Wärme spendeten und Victor.
Heute habe ich ein schlechtes Gewissen: Was ist, wenn die anderen ihm diesen Mantel nicht gönnen? Was ist, wenn sie sich den Mantel mit Gewalt nehmen? Was ist, wenn er sich wehrt und er zu Schaden kommt? Ich werde es nie erfahren...
„Schweig jetzt“, sagt eine Stimme in mir. Meine Lippen bleiben geschlossen und meine Finger versagen mir ihren „Dienst“. Nur das Schlagen meines Herzen ist ist rasend laut.
Seien Sie herzlich gegrüßt-Stan Marlow
Meine Gedanken kreisen noch immer um Ihre Weihnachtsgeschichte, vielleicht besser gesagt; Ihrem Weihnachtserlebnis mit ganz besonderen Menschen und dem Feuer der Pennertonne. Ich sehe Sie vor mir, bekannt durch Ihre Lesungen, und glaube Ihnen Ihre Spontanität und Arglosigkeit. Was trieb Sie? Gottes Liebe und insgeheime Hoffnung Gutes tun zu können? Vielleicht ein Gespräch zum Zeichen; Brüder in der Einsamkeit, ihr seid nicht vergessen! Ich bewundere Sie. Sie haben mit ihnen aus dem Flachmann den Fusel getrunken und dem Atem gespürt. Ich bin kein Street Worker, ich habe nur etwas Erfahrung. Haben Sie gefunden was Sie für Sich selbst suchten?
Ich hoffe inständig, die Seelen der dort wohnenden Männer haben einen Funken Liebe und Wärme Gespürt bei Ihrem Besuch. Warum sie in diese Lage kamen, vom Schicksal oder von dem Bösen genarrt und getrieben wo der Preiß zu hoch war, weiß unser Schöpfer allein. Ich denke, zum Antwort finden gehörten hierzu die verschiedenen Religionen.
Mit Victor, den Mann, den Sie zuletzt fasst außerhalb des Feuerscheins trafen, hatten Sie ein langes Gespräch über das Leben etc. schreiben Sie. Ich bin überzeugt, dass er davon noch lange profitiert. Er zeigte Ihnen seine Wohn und Schlafstätte – Kartons. Ich kann Ihre Handlung verstehen. Auch ich hoffe, dass er Ihren gespendeten Ledermantel allein behalten darf. Denn diese Art von Gesellschaftsform hat so ihre eignen Gesetze.
Das Wort „Weihnacht“ aus unserer Sprache tilgen und lapidar ein neues mit einem anderen Sinn einzusetzen, halte ich nicht für möglich. Dazu ist es zu Heilig, zu unantastbar. Jeder von uns Menschen trägt einen kleinen Gottes Funken in sich. Wegweisend im Leben, auch schweigend, wenn wir es so wollen. Aber unverrückbar festhaltend an der Tatsache, der Geburt Jesu.