Ihr erinnert Euch noch an mich? Ich bin ein stummer Beobachter und Erzähler, habe das Privileg, zu beobachten, aufzuzeichnen, mitzuerleben, zu fühlen, aber nicht, mich einzumischen. Lange habe ich nach Stan Marlow Ausschau gehalten. Monate lang habe ich ihn weder gesehen noch gehört. Als ich eines abends an einem Tisch in einem Strassencafé saß, sah ich ihn. Er schien gedankenverloren einen Aperol zu genießen. Die Abendsonne konnte mit ihren warmen Strahlen nicht die Kälte aus seinen Gedanken, aus seinem Körper verbannen. Er schien zu frieren. Unauffällig sah ich ihn mir an. Hatte er abgenommen? Oh nein, seinen Bauch hatte er noch immer. Er war auffällig blass. Seine Augen schienen in einem bernsteingelb zu leuchten. Immer und immer wieder wurde sein Körper von einem Husten durchgeschüttelt. Manchmal meinte ich, das Pfeifen seiner Bronchien zu vernehmen. Endlich kehrte er wieder in die Gegenwart zurück. Seine Aufmerksamkeit galt einem etwa gleichaltrigen Mann, der eilig auf ihn zukam und ihn begrüßte. Ich kannte ihn. Es war ein Schriftsteller aus der »Gruppe 96«, der auch Stan angehörte. Sie unterhielten sich lebhaft, fast freundschaftlich. Der Wind trieb Wortfetzen zu mir herüber. So erfuhr ich, dass Stan sehr krank war. Ein Kuraufenthalt in einer Klinik auf Sylt stand kurz bevor. Die Bedienung brachte mir ein zweites Glas Rotwein. Er war schwer, dunkelrot und der Barrique´Geschmack betäubte nicht nur meine Geschmacksnerven. So liebte ich ihn, den guten alten Franzosen. Nur Augenblicke war ich abgelenkt. Stan war wieder allein. Verloren schien sein Blick. Nur hin und wieder brach sich ein Sturm durch seine Lungen. Ich nahm mein Glas, ging an seinen Tisch und fragte, ob noch ein Platz frei wäre. Nur Augenblicke ruhten seine Augen auf meinem Gesicht, doch schien es mir, als würde eine Ewigkeit vergangen sein, als er mir den Platz anbot. War das Schweigen, was jetzt am Tisch herrschte, peinlich? Ich kam mir so unsicher vor. Seine Augen ruhten ständig auf meinem Gesicht, suchten meine Augen. Als er sie gefunden hatte, war es mir, als bohrten sich seine Blicke in mich. Unheimlich! Lag es am Wein? Ein kleines Lächeln, war es überhaupt eines, zuckte über sein Gesicht. Er entschuldigte sich umständlich ob seines Nachdenkens und Sinnierens. Wir kamen ins Gespräch. Es war humorvoll, geistreich und seine Worte ließen manche Bilder vor meinem inneren Auge entstehen. Nur wenn er lachte, wurde er sogleich bestraft. Der Husten musste ihn schon mächtig quälen. Er erzählte mir von seiner Arbeit, dass sie ihn krank gemacht habe. Erzählte von seinem Vorgesetzten, die wohl sich nur selbst gut waren. Wieder kam der Husten, wieder quietschten die Bronchien und diesmal wollte die Luft nicht einfach wieder in seine Lunge und ins Blut. Der Hunger nach dem begehrten Stoff war so groß, dass er hastig in seinen Taschen wühlte. Er fand offenbar nicht, was er suchte. Ich griff einfach seinen kleinen braunen Rucksack und kippte den Inhalt auf den Tisch. Da lag ein Spray mit dunkelblauer Kappe. Hastig nahm er es, riss mit zittrigen Fingern die Kappe weg und steckte die Öffnung zwischen seine schon bläulich angelaufenen Lippen. Ich hörte ein Zischen und gleich ein zweites. Das Medikament drang in seinen Mund, in die oberen Atemwege. Er wollte tief einatmen. Wollte, dass das Medikament in seine Lungen dringt und wirkt, ihn befreit von seiner Atemnot. Noch ein mal ein Zischen, ein kurzatmiges Luftholen, ein Pfeifen in seinen Bronchien. Dann war es still. Sekunden verrannen. Einfach zu lange. Ich wollte gerade den Notruf in mein Handy eintippen, da fasste mich seine Hand an die Schulter und ein stummer Blick sagte mir: Danke mein Freund, es geht schon wieder. Erleichtert legte ich das Telefon auf den Tisch. Nur noch ein paar Augenblicke dauerte es, bis er vorbei war, der Anfall. Im Stillen schauderte es mich schon, wenn ich mir vorstellte, wie oft dies wohl am einem Tag passierte, so kurz vor dem Ersticken zu sein und dann wieder ins Leben zurückkehren zu dürfen. Und ich verstand auch seine Vorgesetzten nicht, die diesen Gesundheitszustand zuließen. Vielleicht erfahre ich später mehr darüber. Er bestellte sich noch ein Aperol. Er genoss ihn sichtlich und seine Züge entspannten sich. Wir unterhielten uns auch über seine Reise an die Nordsee. Er erzählte von seiner Hoffnung auf Linderung, ja Heilung und er freute sich auf Sylt. »Die Insel der Schönen und Reichen« sagte er lachend. Lang schon ist es her, dass ich während einer Unterhaltung die Zeit vergessen hatte. Erst als die Bedienung den Feierabend mit einem müden Lächeln verkündete, wurde mir bewusst, dass die Nacht schon lang das Licht schlafen geschickt hatte. Die Taschenlampe der Bedienung gab uns Licht, damit wir bezahlen konnten. Das Licht des Mondes zeigte uns den Weg nach Hause. Als sich unsere Wege trennten wusste ich wann er nach Sylt fährt und dass es die Klinik von Asklepios sein würde, in der er untergebracht sein würde. Ich war noch nie auf Sylt, sagte ich mir im Stillen. Es wird Zeit, dass ich dieses Urlaubsparadies kennenlerne. Über diesen Gedanken schlief ich ein.
Brutal riß mich der Wecker mit seinem durchdringenden Klingeln aus dem Schlaf. Die Sonne stand schon am Himmel. Als die kalten Wasserstrahlen der Dusche mich vollens dem Schlaf entrissen, fiel mir der Weckruf meines Vaters ein, mit dem er uns Kinder aus die Betten gescheucht hatte, wenn wir auf Reisen gingen: »Reise, Reise… aufstehen«. Ein kleiner Trip in meine kindliche Vergangenheit. Was gäbe ich drum diesen Satz wieder zu hören. Doch nun raus aus den Federn. Die Sonne lachte, am Himmel war nicht eine Wolke. Meine Sachen flogen nur so in die Koffer. Nur das Notwendigste wollte ich mitnehmen. Es wurden doch 2 Koffer und eine große Sporttasche. Wir hatten uns an der letzten Tankstelle vor der Autobahn verabredet. Seine Freya, so nennt er liebevoll seinen Mercedes, glänzte frisch gewaschen und gewachst. Als ich ihn so gegen das schwarze Metall gelehnt sah, fiel mir seine fahle Blässe auf. Seine fast violetten Lippen ließen das Gesicht unwirklich erscheinen.
Mit quietschenden Reifen hielt meine rostrote »Rübe« so nannte ich liebevoll meinen in die Jahre gekommenen Käfer, nur wenige Meter neben ihm. Wir tranken noch einen Kaffee im Stehen, der alles andere als 2,50 Euro wert war. Seine Bitternis sollte meinem Magen später protestieren lassen.
Dann drehten sich die Schlüssel in den Zündschlössern, Funkenstrecken glühten gefangen in Stahl und ließen das Gemisch aus Luft und Benzin explodieren. Die Motoren erwachten zum Leben. Leben, was ist das überhaupt? Lebe ich wirklich und wie spüre ich das? Seltsames durchzog meine Gedanken, aber nur für einen Sekundenbruchteil. Mit einem Lächeln setzte Stan seine Sonnenbrille auf, die dunkle Scheibenglas seines Mercedes verschloss leise das Fenster.
Es wurde ein Trip über 500 Km und 3 Boxenstopp. Wenige Worte wurden gewechselt und doch hörte ich das leise Quietschen und Brodeln in seinen Bronchien. Kurzatmig war er. Seine Lippen hatten einen leichten Lila-Schimmer. Erst als wir an der Haltestelle ankamen, wo unsere Autos auf den Autozug verladen wurden, hatten wir etwas mehr Zeit. Wir machten unsere Späße bei einer heißen Schokolade. Immer wenn wir lachten musste er es »büßen«. Der Husten, der sofort danach seinen Auftritt hatte, schüttelte ihn durch. Über Schmerzen klagte er nicht. Die Lunge musste ganz schön entzündet sein, dachte ich bei mir. Es ist schon merkwürdig, dass er in eine Kuranstalt fahren soll, statt sich einer stationären Behandlung zu unterziehen, um erstmal gesund zu werden. Aber bin ich Arzt? Nein, ich bin Rentner, einer von der Sorte, der nachdenkt, fragt und nach Antworten sucht. Auf dem Autozug trennten sich unsere Wege. Jeder saß in seinem Auto. Ich genoss die Aussicht auf das Watt, die Landschaft, die frische salzige Brise, die Sonne und den blauen Himmel. Das Schreien der Möwen ließ mich träumen. Es waren nicht die Schreie von Möwen, die brutal und schmerzhaft in mein Bewusstsein drangen, mich weckten. Es war das Quietschen von den Bremsen des Autozuges. Ich war da angekommen. Kurze Zeit später stand »Rübe« in einer Parklücke und ich befand mich mitten auf einem Platz, der voll von grünen übergroßen Figuren war, die sich gegen den Wind schräg anlehnten. Mit geschlossenen Augen sog ich die salzige Luft in mich und freute mich darauf, bald das Meer sehen und fühlen zu können. Westerland, wurde es nicht von den Ärzten besungen? Die Melodie leise vor mich hinpfeifend suchte ich das kleine Hotel, dass gar nicht weit vom Meer etwas abseits der Stadt stand.
Die Klamotten in den Koffern müssen warten. Das blau angestrichene Hotel strahlt etwas aus, dass ich schwer Worte fassen kann. Eine junge freundliche Empfangsdame wartete hinter einem Tresen. Freundlich mit forschenden großen dunklen Augen sah sie mich an und nahm alles zu Protokoll, was die Bürokratie forderte. »Die Koffer würden mir später aufs Zimmer gebracht«, sagte sie mir in einem Dialekt, der mich zum Schmunzeln brachte. Dann ging sie voraus, die steile Treppen, die zu den Zimmern führte, die im 1. Stock lagen. So hatte ich Zeit das Wunder der Natur mit Muße und mit den Augen eines gealterten Mannes zu betrachten: Ihr Gang war geschmeidig, ihre Taille hätte ich bestimmt mit einem Arm umfassen können, herrliche lange Beine endeten in Sandalen mit halbhohe Absätze und der Hintern, der von einem schwarzen engen Rock umspannt war, ließen beinahe sündige Gedanken zu. Es war nicht das Knarren der Holztreppen, was mich in meinen Gedanken und Betrachtungen störte. Es war das unaufhörliche Geschnatter, dass pausenlos, in einem mir fast unverständlichen Dialekt über ihre sinnlichen vollen Lippen kam. Wo nahm diese Frau nur all die Luft her? Sie schloss die Tür des Zimmers mit der Nummer 008 auf, ging geradezu auf die Balkontür zu, riss beide Glasflügel auf und ließ die Sonne, die salzige Luft und die Kühle des Meeres ins Zimmer. Unter meinen Füßen knarrte das vom Seewasser gebleichte Holz des Balkons. So viele Eindrücke auf ein mal. Das brauchte Zeit, um realisiert zu werden. Etwas erschöpft lehnte ich mich gegen die von der Sonne gewärmte Hauswand. Ich war fasziniert von der Weite des Ozeans, dem Spiel der Sonnenstrahlen auf dem Wasser, den dicken Wolkenfetzen. Aus den Augenwinkeln sah ich die schöne Empfangsdame lächeln. Sie hatte mich die ganze Zeit beobachtet. Ich muss sie völlig »vergessen« haben. Der Rhythmus meines Herzens wurde schneller. Empfindungen steigen oft unerwartet aus den Tiefen rasend schnell empor und lösen sich einfach auf, einfach so, sind weg und hinterlassen oft ein Nichts. Leise muss sie aus dem Zimmer gegangen sein. Ich setzte mich in den kleinen bequemen Korbsessel und genoss den rötlichen erfrischenden Getränkemix. Es war, als würde die Fluten mich bannen, meine Gedanken wurden ruhig, fast still und so vergass ich die Zeit.
In den kommen den Tagen erkundete ich Sylt. Es gibt herrliche teuere Gegenden, aber auch wundervolle ruhige Gegenden. Eigentlich wollte ich mit Stan diese Insel erkunden – er war nicht zu finden, ging nicht ans Telefon und auch in der Klinik wollte man mir keine Auskunft geben. Tag später, ich wollte schon meine Sachen packen und zurückfahren, ging ich ganz früh am Strand spazieren. Die Sonne versteckte sich hinter einem Dunst aus Wolkengewirr und nur ihren Strahlenkranz konnte ich sehen. Der Wind peitsche die Wellen ans Ufer. Die Kühle des Meeres drang in meine Kleidung und Gänsehaut kroch unter den warmen Sachen den Rücken hinauf. In der Ferne sah ich eine Gruppe von Leute, die am Strand ihren Morgensport machten. Nur einer stand etwas abseits und schaute aufs Meer. Als er sich umdrehte, fiel mir seine Blässe auf. Ich wusste, ich hatte ihn wieder gefunden. Einem unsichtbaren »Befehl« folgend, setzte sich die Gruppe in Bewegung und kam im Eiltempo durch den Sand auf mich zu gestapft. Sekunden später war ich mittendrin und auch schon wieder draußen. Da er das Tempo nicht mithalten konnte, passte ich ihn ab und riss ihn mit einem »fröhlichen Hallo« aus seinen Träumen. Während wir uns unterhielten, hörte ich trotz des immer währenden Windes das Pfeifen seiner Lungen. Wir waren noch nicht ein mal die halbe Strecke am Strand, den die Gruppe zurückgelegt hatte gegangen, als wir uns wieder in dem fröhlich schnatternden Pulk von Menschen, die auf dem Rückweg in die Klinik waren, befanden. Sekunden später waren wir allein mit dem Wind, dem Meer und unseren Gedanken. Seine Stimme war schwach. Sie konnte sich nicht gegen die Stimme des Windes und des Meeres behaupten. Versuchte er es trotz allem, wurde sein Körper von dem schlimmen Husten durchgeschüttelt. Schweigend gingen wir weiter und fanden in einem Café, das gleich am Strand stand, einen Fensterplatz. Stille! Wohltuend und entspannend. Wir bestellten uns einen heißen Kakao mit Sahne. Er genoss ihn sichtlich. Als er die Tasse wieder abstellte und mich anschaute, brach ich in schallendes Gelächter aus. Schlagsahne, überall war die weiße süße Sahne. Er lächelte, zu mehr traute er sich nicht. Ja, der Husten. Heiser war seine Stimme. Er entschuldigte sich für sein Schweigen, sein Fernbleiben. Was war nur passiert? Leise war seine Stimme, rau und kratzig. Die Ärzte in der Klinik hatten in ihrer Arroganz ihm erklärt, dass er bezüglich seiner Medikamente, die er von seinem Pulmologen verordnet bekam, absolut falsch eingestellt sei. Er wurde vor die Wahl gestellt: Entweder nimmt er die Medikamente von der Klinik oder er kann seine Sachen packen und nach Hause fahren. Also nahm er sie. Kurze Zeit später kam es zu einem Asthmaanfall, der ihn an den Rand des Erstickungstodes brachte. Die schon sehr angekratzte Gesundheit verabschiedete sich gänzlichst. Blaue Flecke und dunkle kleine Punkte zierten seine beiden Arme. Zerstochen, malträtiert von den Ärzten der Asklepiosklinik. Mitleid pur und eine mit nicht bekannte Wut auf das was in der Klinik passierte stiegen in mir auf. Was passierte da noch so in der Klinik? Die Fantasie schlug Purzelbäume. Die Medien sind ja voll von unglaublichen Geschichten und Vorkommnissen. Er sagte, dass er jetzt hochdosiertes Cortison bekommt. Ein Wundermittel und Teufelszeug. Die Zeit verging zu schnell. Er musste zurück in die Klinik. Er versprach sich zu melden. Tage später trafen wir uns auf dem Bikertreff. So viele Harley Davidson habe ich noch nie gesehen. Zusammen schauten wir uns die künstlerschen Kreationen der Motorradbauer an. Keine Maschine glich der anderen. Das Cortison hatte in »geheilt« – wirklich? Ich bin misstrauisch, wartete jeden Moment auf den Hustenanfall, der ihn durchschüttelte. Nichts war zu hören. Das Teufelszeug hatte ihm im Griff und gab ihm vielleicht eine kurze Zeitspanne das Gefühl zu leben zurück. Trotz der vielen Tage, die seit dem vergangen sind, blieb mir eine Begebenheit noch in Erinnerung.
Er hatte sich so gut erholt, dass wir eine Fahrradtour zum nördlichsten Punkt Deutschlands unternahmen. Start war die Klinik, die zwischen Westerland und Wenningstedt liegt. Der Weg führte uns am Leuchtturm, an Dünen, die voll von blühenden Rosen waren und deren Duft trotz des ständig wehenden Windes betäubend war, vorbei. Kurz nach der Stadt Kampen bogen wir ab und und fuhren an der Küste entlang bis zur Spitze des »Ellenbogens«. Dort im Sand sitzend und übers Meer schauend, machten wir Picknick. Sonne, Sand und eine gute Gesellschaft – das hat was. Stan ist ein guter Gesellschafter: Er ist weltgewandt, kennt sich in den verschiedensten Genres aus, sein Humor ist mal beißend, mal erfrischend und er kann über sich selbst lachen. Die Stunden vergingen viel zu schnell. Auf der Rücktour fuhren wir über List. Das Fischimperium Gosch feierte da seinen 70. Geburtstag und hatte die ganze Stadt zum Grabbenessen und Sekt eingeladen. Das war ein Schmausen und Schlürfen. Er hatte extra für die Feier den »König vom Ballermann« eingeladen, der ordentlich Stimmung machte. Meine Ohren und Verstand protestierten. Ich könnte mir vorstellen, dass wenn ich so einige Sekt getrunken, mir die Musik gefallen hätte. Stan verträgt keine Grabben und vergnügte sich mit einer Currywurst und Wasser – an seinem etwas verzerrten Gesichtsausdruck konnte ich sehen, wie gut sie ihm schmeckte. Kurze Zeit später wurden in die Pedalen getreten. Wir fuhren zurück in die Klinik. Der Weg zurück erschien mir doppelt so lang. Mir kam ein Spruch von Stan in den Sinn:«Sylt hat unsichtbare Berge. Streng dich mal ordentlich an.« Wir fuhren ständig gegen den Wind. Die Beinmuskeln fingen an zu protestieren. Das Atmen fiel mir schwer. Der Regen, der uns nachdem wir Kampen passiert hatten, erwischte, verwandelte sich in eine vom Wind gepeitschte Regenwand. Es dauerte nicht lange und wir kamen an der Klinik an. Stan sah erschöpft aus. Die Augenringe und die fahle Blässe ließen ihn gespenstig aussehen. Seine Lippen waren lila. Wenn er sprach, »brasselte« es in seinem Brustkorb. Er fror. Er verabschiedete sich schnell, schaute noch einmal lächelnd zurück und verschwand in der Dunkelheit. Ich machte mir ernsthafte Sorgen. So in Gedanken fuhr ich die letzten Kilometer durch den Regen ins Hotel.
Tage später erfuhr ich, dass Stan die »Flucht« ergriffen und die Insel mit seinem Auto verlassen hat. Sein Zustand hatte sich sehr verschlimmert. Die Ärzte der Asklepiosklinik, die für seinen Zustand verantwortlich waren, haben es nicht geschafft, ihn von der Last des „fast Erstickens“ zu befreien. Über 400km „non Stop“ im Auto fahrend, Luftnot, Husten und mehr erdulden müssend, fuhr er zu seinem Bruder, der Internist ist. Er war erschrocken von seinem desolaten gesundheitlichen Zustand. Nur eine sofortoge Injektion von hochdosiertem Cortison konnte ihm kurze Zeit später erste Linderung verschaffen. Kurze Zeit später fuhr Stan weiter in eine Klinik, die sich auf Lungenkrankheiten spezialisiert hat. Dort wies er sich selbst ein. Das ist alles, was ich weiß.