Ihr letztes Abenteuer

  • Ihr letztes Abenteuer

    glaubt sie, ist dieser Umzug von der Stadt, die sie über 40 Jahre beherbergte nach dem Dorf, das sie mit aufnehmen wird im Anwesen ihres ältesten Sohnes. Still ist es um sie her, kein Laut stört. Sie sitzt in ihrem Wohnbereich umgeben von Umzugskarton mit Aufschrift: OBI daneben stehen die Taschen für Papier, zum Sammeln und Entsorgen in die grüne Tonne. Vier Fotoalben stehen noch als Soll an, dass heißt für sie nur die besonderen Fotos behalten, alles Andere in die Taschen. Ihre Kinder haben keinen Bezug zu all den besonderen Aufnahmen. Das ist durchaus normal und zeitgerecht. Es sind ja auch die Zeugen ihres Lebens, ihrer Jahre, die Mitte Achtzig zählen. Der Geist ist durchaus noch rege, nur der Körper streikt mitunter. So nimmt sie dankbar den kleinen separaten Wohnbereich an, den ihr ältester Sohn für sie vorbereitet hat.

    Die Gedanken kreiseln gleich einem Karussell dem Niemand zuruft: anhalten und aussteigen lassen, der Nächste bitte. Sie fragt sich, ist es Gnade, dass sie ihre Wohnung selbst auflösen kann und darf oder eher nicht? Mitunter fällt es ihr nicht leicht, denn hinter Allem steckt ja so viel an Erinnerungen, Begebenheiten, Liebe, Ehe, Beruf, die Kinder und vielerlei an Arbeit. Der Kampf ums Dasein drückte auch ihr seinen Stempel auf gleich wie den ihrer Mitmenschen. Hier aber sei noch die Politik genannt die ihre Spur tief eingrub. Sie erinnert sich an damals, an die endlich genehmigte Ausreise von Ost nach West mit dem Kindern, o ja, ein Deutschland ein Vaterland, aber zwei Systeme. Sich da hinein zu finden war ein Kraftakt, vor allem auch für die Kinder im Gymnasium, aber auch im Unterricht der Klasse 9 für Mittlere Reife und in der Grundschule der Klasse 4 für die kleine Tochter. Unauslöschbar bleibt dieser Neuanfang im Erinnern. Er war sehr Kräfte zehrend aber trotzdem auch gepaart mit Spannung und Erwartung auf das damals Kommende.

    Im Moment glaubt sie für sich, das sie die Stille die sie umgibt, füllen muss mit guten Gedanken und bestimmt werden sich auch neue Wege auftun, da die alten Bekannten und Beliebten nicht mehr begehbar sind. Sie lächelt vor sich hin, es ist gar nicht so schwer und abwegig wie es am Anfang schien. Bei diesem Problem der Auflösung scheint ihr, ist die einst erprobte alt bewährte Methode anwendbar: Einen Plan sich erstellen mit einem gewissen Soll und kontinuierlich danach arbeiten, damit das Ganze überschaubar bleibt und sie nicht ins schwimmen gerät. Das findet sie vernünftig und rationell, dass weiß sie aber auch aus Erfahrung und ja keine Emotionen zulassen, denn das schwächt nur und wirkt sich belastend aus. Zeitgemäß heißt dass für sie ganz lapidar cool bleiben, so die Theorie.

    Rückschau

    Nach einer besonderen familiären Feier, sie glaubt es sind bestimmt so 4 oder 5 Jahre her, sagten ihr ihre Jungs im Gespräch, Mutter, wenn du nicht mehr so aktiv sein kannst wie bisher, ziehst du zu mir, deinen Großen. Wir drei Kinder haben es jetzt so besprochen. Ich habe genügend Platz und du kannst in Ruhe und in deiner gewohnten Selbständigkeit leben bis du abgerufen wirst. Benötigst du später aus gesundheitlichen Gründen Hilfe, so bin ich für Dich gleich da. Ihr Sohn ist vom Beruf Internist. Bis der Wechsel nötig wird sorgt unser Pensionist mit medizinischer Ausbildung weiter für Dich und deine Belange, und das klappt wie immer hervorragend. Klasse denkt sie für sich, was sind wir doch für ein tolles Team geworden im Laufe der vergangenen Jahre, die Verstorbenen eingerechnet die heimgegangen sind, wo immer das auch sein mag. Sie möchte so gerne ihre Erfahrung weiter geben, denn nichts geht über eine Familie die sich mag und respektiert. Ein Sommertag geht zu Ende, ein weiterer Karton ist gepackt und abholbereit. Sie freut sich schon, sie weiß sie kann sich auf ihre Lieben verlassen und getrost in die Zukunft schauen, dabei aber auch noch gespannt sein auf das Kommende im Neubeginn.

    Es werden wohl noch einige Wochen vergehen bis es soweit ist und sein kann. Eine gewisse Wehmut wird und ist natürlich vorhanden, und wird auch bleiben. Tränen? Nein, die sind schon lange versiegt. Im Übrigen würde man sie ja auch nicht sehen oder sie sehen lassen. Die Kündigung ihrer Penthaus-Wohnung wurde bereits bestätigt, all die anderen Dokumente von Wichtigkeit ebenfalls. Das übernahm für sie der Sohn, der immer für sie da war und ist.
    Sie mag diesen ganzen Papier Kram nicht mehr obwohl sie doch in leitender Stellung einst damit vertraut war. Sie wundert sich über sich selbst, aber es ist so.
    Wohin sind die Jahre? Darauf gibt es wohl keine Antwort aber auf das Wie sie vergangen sind, wie sie sie ausfüllte, dem ist sie jetzt auf der Spur und sicher mitunter Kopf schüttelnd. Bis bald ihr Lieben.

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