Wir gründen eine Buchmesse für Unknows

  • „Wir gründen eine Buchmesse für UNKNOWS“ bist Du dabei?“
    Diese Mail blinkte eines Tages hektisch in meinem digitalen Briefkasten. Es bedurfte nur wenige Sekunden um den Inhalt zu lesen und zu begreifen. Es wurde eine Buchmesse für unbekannt Autoren gegründet. Es ist eine Messe, in der Verlage vorrangig keine Macht haben. So fuhr ich Wochen später nach Essen ins UNKNOWN-Haus - ein Haus, das vor hunderten von Jahren einmal ein düsteres Kloster war und heute ein Tummelplatz für Künstler aller Couleur ist.
    Ein langer Tag ging zu Ende. Es wurde viel gelesen, diskutiert, gelacht und manch einer hatte das Glück von einem Agenten der Verlage als „interessant“ befunden zu werden. Zu später Abendstunde zog sich ein Teil der Autoren in ein Zimmer zurück, dessen Wände nur aus Glas waren. Hier in bunten Kissen und Sofas sitzend, bei Wein, Wasser und ein paar Häppchen erwartete uns noch eine Überraschung. Ina, eine Autorin kann nicht nur gut schreiben, sondern auch gut singen. Mit Ihrer Stimme sorgte sie, dass der Adrenalinspiegel nach unten fuhr. Durch meine Gedanken drang erst wie durch Watte eine Melodie, kaum wahrnehmbar, leise, wie ein Hauch. Die E-Gitarre hatte das Vorspiel beendet und als die Stimme sich mit der Melodie verband, kam Unruhe in mir auf. Etwas in mir wurde wach und wollte an die Oberfläche, wollte raus. Worte, die zu mir gesprochen wurden, verblasten. Tief in mir suchte ich nach dem, was mich rief, an mir zerrte und mich quälte. Als das Lied endete, wurde es auch still in mir.
    Es war schon sehr spät, der Wein war alle und fast alle Autoren waren gegangen, als Ina auf mich zukam und fragte, ob mir ihre Musik weh getan hätte. Auf meine stumme Frage, die sie in meinen Augen abgelesen haben musste, sagte sie, dass sie es mir angesehen und gefühlt habe, dass etwas nicht gut war. Ich sagte ihr, dass mir die irischen Balladen sehr gefallen und meiner Seele gut getan hätten - besonders dieser eine Song - Kilkelly Ireland.
    Wochen später hatte ich meine Straßenkleider gegen eine Flecktarnuniform getauscht und saß mit vielen anderen in einem Militärtransporter, der in Richtung Afghanistan flog. Das monotone Brummen der 2 Propeller ließ trotz der unbequemen Sitze Müdigkeit aufkommen. So versank ich irgendwann in einem traumlosen Halbschlaf. Wir überflogen gerade die Inseln Griechenlands. Bald würde die Türkei am Horizont auftauchen, wo wir Zwischenlanden müssen, damit wir den Hunger der Maschinen stillen können. Bald darauf geht es weiter in Richtung Weißrussland bis der aufkommende Tag die Umrisse des Hindukusch-Gebirges aus der Finsternis hebt. Was dann folgte war für die Piloten fast Routine: Wie ein Raubvogel wird sich die Trans All in wagehalsigen Manövern der Landebahn nähern, um dann zur Landung anzusetzen. Wir würden durchgeschüttelt werden, der Druck in den Ohren wird ansteigen und dem einen oder anderen würde der Mageninhalt über die Uniform laufen. Das ist immer noch besser als von großkalibrigen Kugeln eines schweren MG`s der Taliban, das vielleicht irgendwo auf einem Bergplateau steht, durchsiebt zu werden. Anschließend bringen uns große Transporthubschrauber nach OP North. In diesem Teil Afghanistans werden wir einige Wochen verbringen und beängstigende Abenteuer erleben. Das alles hatte ich schon einige Male durchlebt und im Tran der Monotonie überließ ich mich der Müdigkeit.
    Tage später, die Sonne versank am Horizont und nahm die Wärme mit sich. Ich war in einem der Vorposten, unweit vom Stützpunkt OP North. Vollbepackt mit Taschen die voller Medikamente, Spritzen, Verbandzeug, Waffen und Munition waren, saßen wir in einer kleinen Mulde , die der scharfe Steppenwind in den harten Boden gegraben hatte. Wir waren eine handvoll Männer und Frauen, die ihren Beitrag zur Sicherheit in Afghanistan leisteten. Springspinnen wagten sich in die kommende Nacht. Sie drückten ihren handteller großen haarigen schwarzen Körper in den Sand der Steppe, um sich noch einmal gegen die aufkommende Kälte der Nacht wärmen. Leise geflüsterte Befehle! Fast geräuschlos wurde aus unserem lockeren Sitzen eine feste Formation. Schwarz gefärbte Nachtsichtgläser ließen die Umgebung in einem zweidimensionalem grünen Licht erscheinen. Wir hatten uns fast daran gewöhnt, an dieses unrealistische Licht. Still war es geworden, zu still. Die Tiere hatten sich geräuschlos in die Finsternis zurückgezogen. Unsere Nerven waren angespannt. Plötzlich fiel grelles Licht durch mein Nachtsichtgerät und stach mir schmerzhaft in meine Augen. Den Knall hörte ich erst gar nicht. Sie kamen - leise - schnell - Gespenster gleich. Die weiten Hosen und Hemden flatterten im Wind. Ein großes Tuch, das um den Kopf geschlungen war, ließ nur ihre Augen frei. Schüsse fielen. Rasendes Stakkato unserer Waffen war die Antwort. Ich sah die Kugeln in ihre Körper eindringen, aber sie fielen nicht, sie rannten einfach weiter, als wären sie immun. Erst als ich das Weiße in ihren Augen sehen konnte, fielen sie sterbend in den kalten Steppensand. Das Adrenalin ließ kein Zeitgefühl, keine Angst, kein Schmerz zu. Dunkel, kaum die Hand vor den Augen sehend, im gleißendes Licht der Mündungsfeuer und mit klammen Fingern legte ich Verbände an und stillte Blutungen. Neben mir schrie der Funker etwas ins Mikro - Hilfe aus dem nahe gelegenen Stützpunkt war unterwegs. Stille, ohrenbetäubende schmerzende Stille. Auch die Taliban hatten die Lichter der Kolone gesehen und zogen sich zurück. Gefühlte 10 Meter vor unserer Stellung lag jemand. In dem grünen Licht konnten wir nicht sehen, ob Leben in ihm war. Gesichert von 2 aus meinem Team ging ich geduckt mit dem großen Sanitätsrucksack zu dem im Sand liegendem Körper, drehte ihn auf dem Rücken und meine Augen wurden groß. Reflexe übernahmen mein Handeln… lauf schrie es in mir. Ich ließ alles fallen, rannte, die Lunge sog kalte staubige Steppenluft, die Augen suchten die Deckung... Dann wurde es hell, sehr laut und ich, ich versank in die Bewusstlosigkeit. Viel später erfuhr ich, dass der Taliban, dem ich helfen wollte, noch am Leben war und einen Sprengsatz unter sich hatte, den er lachend zündete, als ich ihn umdrehte…


    Die Skalpelle der Chirurgen waren fleißig gewesen. Ihre Kunst bemerkenswert. Doch die Verletzungen wollen einfach nicht heilen. Seit Monaten liege ich nun gefangen zwischen Halbschlaf und Wirklichkeit. Alpträume durchziehe mein Gedanken, mal flüsternd mal lautlos kreischend sehe ich ein verschwommenen Gesicht, dessen lippenloser Mund immer wieder nur diesen eine Satz wiederholten: Nie wieder wirst du richtig gehen und nie wieder wirst du wieder tanzen können. Es katapultierte mich jedesmal in die Realität. Augenringe, geschwollene Augenlieder, immer zwischen Hoffnung und Verzweiflung schwebend, durchlebte ich die Zeit. An solch einem Tagtraum erreichte mich über das World Wide Web eine Mail von Ina. Keine Worte, nur im Anhang befand sich eine Datei - eine Musikdatei. Es war das Lied, das sie an jenem Abend in dem Zimmer mit den gläsernen Wänden gesungen hatte.
    Irgendetwas in mir veränderte sich, geriet in Spannung. Abspeichern, die Maus aktivierte den Player und los ging’s. Aus grauen Tiefen stiegen Erinnerungen empor und mit einem lautlosen Knall flog eine „eine Tür des Vergessens“ auf. Kraftlos ließ ich es zu, dass es mich überwältigte…


    Es war in Afrika. Wir waren im Tschad in einem großen Camp Warehouse, nahe der Grenze zum Darfur, untergebracht. Dort wartete ich mit meinem Team auf unseren Einsatz. In diesem Camp Warehouse waren auch Soldaten der UN stationiert, die im DAFUR-Gebiet zum Einsatz kamen. Ich kannte sie fast alle. Unter ihnen war ein riesiger Ire mit roten Haaren und Bart. Wenn es etwas zu feiern gab… der konnte saufen… ich schaute ihn immer fragend an und suchte den Plastikbeutel, wo er das Bier und den Whisky heimlich reinschüttete. Seine Hände, wenn er sie zu Fäusten ballte, waren Hämmer. Er war immer gut gelaunt. Seine Scherze waren nicht immer gently. Oft schlugen sie einen derben Ton an. Er war eben ein Ire. Aber wenn er sang, hörten ihm alle zu. Ich glaubte vom Alkoholpegel hing es ab, ob seine Lieder voller Sehnsucht nach der Heimat oder lustige Trinklieder waren. Alle mochten den großen rothaarigen Iren. Irgendwann rückte seine Einheit in den Dschungel ab. Sie sollte sich zwischen die Fronten stellen, um ein Blutbad zu verhindern.
    Mein Team stand in Bereitschaft. Dann kam auch für uns der Einsatzbefehl. Begleitet von zwei Kampfhubschrauber der Amerikaner hob unser Sanitätshubschrauber ab. Wir landeten jenseits der Grenze. Abgesetzt und gleich wieder fort… so waren wir allein. Als der Lärm der Rotorblätter verklungen war, bemerkten wir die Stille. Nur der heiße Atem des Windes, der den Geruch von Blut zu uns trug, war zu spüren. Er trieb uns den Schweiß aus allen Poren und das Atmen fiel uns schwer. Jeder von unserem Team wurde von 2 Kampfspezialisten der Amerikaner beschützt. Sie waren unsere Führer und Bodyguards. Irgendwann kamen wir an. Auf einer kleinen Lichtung lagen sooo Viele. Es war, als wenn die Seelen der Gefallenen noch da waren. Es war ein Lärm in dieser Stille. Ein Lärm, der von niemanden gehört werden konnte, oder doch? Ich war für die zuständig, die noch leben wollten. So fand ich ihn, den rot-haarigen Iren, der oft Sehnsucht nach zu Hause, nach seinem Ireland hatte. Seine roten Haare waren von seinem Blut noch dunkler geworden. Ich hätte mir gewünscht, das ich Formwandeln könnte – ein Krake mit 12 Armen oder so. Drückte ich das eine Loch zu, blutet er aus einem anderen. Ich sprach mit ihm, während ich ihn versorgte, auf Deutsch natürlich, fluchte, lachte und scherzte mit ihm. Selbst die Seals sahen mich schon komisch an. Dann lud ich ihn auf meine Schleiftrage – eine Vakuummatratze nur aus festem Kunststoff. Vorn sind zwei Gurte angebracht. Die legte ich um meinen Oberkörper und so zog ich ihn durch die Hitze des Dschungels zum vereinbarten Treffpunkt. Während einer Pause sagte ich ihm, dass ich seinen großen weißen irischen Arsch verhaue, wenn er sich erlaubt zu sterben. Die Seals verstanden das. Grinsend verschwanden sie im Gebüsch. Ich sah sie kaum – wusste aber, sie waren da. Längst schon hatte der Funker den Äther mit seinen Nachrichten und Hilferufen zum kochen gebracht. Hilfe war unterwegs. Wir warteten am Landplatz. Das erlösende Geräusch der Rotorblätter, erst schwach und immer lauter werdend, versprach Hilfe und Hoffnung. Trüb waren seine Augen geworden. Er sagte zu mir etwas – ich verstand es nicht und doch wusste ich, dass er sich verabschiedet hatte.


    Als wir ihn in den Hubschrauber einluden, machte er sich auf den Weg in die Highlands…


    Eine gefühlte Unendlichkeit ist das nun her. Die Wunden sind vernarbt. Das Versprechen, das dieses unheimliche Gesicht mit den fleischlosen Lippen mir gab, ist Wirklichkeit geworden. Die Alpträume besuchen mich seltener und die Erinnerungen an den rothaarigen Iren verblassen. Irgendwann gibt es wieder ein Ereignis, so wie eben diese Ballade, dann wird der Alptraum wach und er wird die Grenze zu meinem Bewusstsein überschreiten… dann wird er wieder lebendig.
    Kilkelly Ireland, so heißt das Lied

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