Viele Stunden ist es her, seit es mich nach Manching verschlagen hatte. Oft sitze ich in meinem kleinen Zimmer und wünsche mir, es könnte doch etwas passieren. Nur was? Vielleicht „Hackstöcke“ vom Himmel regnen, das Telefon könnte mal klingeln oder einfach der Nachbar klopft und wir trinken zusammen ein Glas. Doch nichts von alledem: Das mit den „Hackstöck“ wäre ein Wunder, das mit dem Telefon ein noch größeres und der Gedanke an den Nachbarn – das wäre das Super-Wunder. Fremde mag man nicht so gern in diesem Land. So setzte ich mich in mein Auto, das ich auf den Namen Helena getauft habe, und fuhr mit ihr durch die Nacht. Immer näher kam ich der Donau und immer dichter wurde auch der Nebel, der aus dem feuchten Nass ans Ufer kroch und alles ins Graue zwang, was in der Nähe war. Häuser waren nur schemenhaft zu erkennen, von den Bäumen und Sträuchern waren nur die dicksten Äste zu sehen, die wie gekrümmte Finger aus dem wallenden Nebel hervor stachen und das gelbe Licht der Laternen wurde so zerstreut, dass ganze Strahlenbälle aus goldenem Licht die Szenerie erhellten. Meine Gedanken waren im „Underworld“. Waren diese Äste nicht wie Klauen? Stand nicht dort eine Gestalt, da gleich neben dem großen, nicht zu definierenden Schatten? Die Sage um Avalon manifestierte sich in meinen Gedanken. Sehnsucht nach all diesen Geheimnissen ließen mich schwermütig werden. Der Motor summte leise und langsam fuhr ich durch die Straßen und die Scheinwerfer von „Helena“ zerschnitten wie scharfe Klingen das immer dichter werdende graue Nass, dass sich mit der Dunkelheit verbündete. Wo genau ich in Ingolstadt war, wusste ich damals nicht. Zwei hell erleuchtete Vierecke sah ich auf der rechten Seite. Sie weckten mich aus den Gedanken und machten mich neugierig. Anhalten – aussteigen. Mich fröstelte ein wenig und ich sah, wie die grauen kleinen Wassertropfen um meine Beine „flossen“ und sie für meine Augen unsichtbar machten. Schnell ging ich auf die hellen Vierecke zu. Es war eine kleine Bar, die sich als „Der Schwedenschimmel“ zu erkennen gab. Nur der Chef war anwesend. Er saß rauchend, durch die großen Scheiben in den Nebel blickend auf einem der Barhocker. Ich war der einzige Gast. Einen großen Milchcafé und ein lecker Sandwiches gab der Geldbeutel her. Klar kamen wir ins Gespräch. Hans Eckl, der Inhaber der Bar, erzählte, während ich aß, dass er diese Bar vor kurzem eröffnet hat, dass noch wenige Leute hierher fanden und das er Künstlern z.B. Malern die Gelegenheit gab, einen Teil ihrer Werke auszustellen. Stunden später, als ich wieder in den Nebel hinausging, nahm ich den Gedanken mit, den Autoren von Ingolstadt hiervon zu erzählen. Vielleicht ließe sich ein Event durchführen.
Geschichte vom Schwedenschimmel:
Als königliche Trophäe der Ingolstädter Bürger wird er jetzt im Stadtmuseum, früher im alten Rathaus, präsentiert. Die Jahre vergingen nicht spurlos an ihm vorüber und der Zahn der Zeit hat so manche Narbe hinterlassen. Doch der Schwedenschimmel ertrug die Unbill mit stoischer Ruhe und Gelassenheit. Das Ausharren hat ihn geadelt: Das edle Pferd gilt heute als das älteste in Europa erhaltene Tierpräparat. Sein irdisches Dasein hat er bereits 1632 beendet, als ihn unter seinem königlichen Reiter, bei der Belagerung der Stadt im Dreißigjährigen Krieg, direkt vor unserem Café eine bayerische Kanonenkugel traf. Der tödliche Zwischenfall veranlasste seinen mächtigen Herrn, Gustav II. Adolf König von Schweden, sich mit seinem Heer zurückzuziehen und Ingolstadt fortan unbehelligt zu lassen.
So zu lesen in der Speisekarte, die im Schwedenschimmel ausliegt.
Damals war die literarische Autorengruppe „Umbruch 96“ in Ingolstadt aktuell und aktiv. Wir hatten andere Texte, etwas abseits vom „Normalen“, gewagt und andere Ideen. Kleine Rebellen halt. Ihnen erzählte ich bei einem Treffen vom „Schwedenschimmel“. Bei diesem Zusammensein ging es darum, ob wir an der Literarischen Nacht, die in Ingolstadt jedes Jahr durchgeführt wird und national einen nicht unbeachtlichen Ruf genießt, teilnehmen. Wir wollten eine „Veranstaltung “ außerhalb der Stadtmauern durchführen, die aufzeigen sollte, dass wir da sind, das wir etwas bewirken können und das wir gute Texte haben und wir uns nicht vorschreiben lassen, was wir zu schreiben und später vorzutragen haben. Der „Schwedenschimmel“ war gerade recht und lag günstig. In Hans fanden wir einen Mann, der uns voll unterstützte. Nur eine Gage war nicht drin. Aber das war uns egal. Wir riefen Künstler aller Couleur auf, mitzumachen, sich darzustellen. Und sie kamen. Nicht gerade in Überzahl, schreckte doch das „Benefiz“ ab. Ein ganzes Wochenende wurde gelesen, geschauspielert, gesungen und getanzt. Vormittags und am Nachmittag waren die Kinder unser Publikum. Ein Höhepunkt war der Samstagabend. Paul Kaiser, ein Schauspieler, der mir seine Stimme für mein Hörbuch geliehen hatte, demonstrierte wie man Einsteins Theorien und das Universum mit Hilfe von Küchengeräten verstehen kann. In der von ihm erfundenen Gestalt „Dr. Wahn“ brachte er nicht nur die Großen zum Staunen. Mit strahlenden Augen verfolgten die Kinder seiner Vorstellung und mit einem fröhlichen Lachen entlohnten sie ihn. Christian Ermler, Jens Rohrer, Suzan, Katja, Stan Marlow um nur einige zu nennen lasen bis weit nach Mitternacht. Mitternacht war dann die Stunde für die Krimi- und Gruselfreunde.
So ging es bis Sonntagnachmittag. Es war anstrengend, erlebnisreich und ein voller Erfolg. Wir, die vom „Umbruch 96“ hatten bewiesen, dass alt eingefahrene „Gleise“ nicht immer zielführend sind, dass auch moderne Stücke bei Groß und Klein ankommen und dass es nicht gut ist, einem Schriftsteller vorzuschreiben, was er verfassen soll. Wir waren rebellisch – und das war auch gut so. Hans war mit dem Verlauf und dem Umsatz sehr zufrieden. Der damals noch recht „unbekannte Schwedenschimmel“ ist heute kein „Unbekannter“ mehr. Künstler stellen nach wie vor ihre Werke aus, Vernisagen sind zu erleben und bei einem guten Bier, Cafe oder was Leckeres zu essen kann man sich entspannen, seinen Gedanken nachgehen, gute Gespräche führen oder einfach nur zuhören.
Teilnehmer:
Olaf Titze
Susan Hendizadeh
Sam Wellnhofer
Marion Pötzsch
Jens Rohrer
Katja Leonhardt
Christian Ermler
Ernst Froh
Stan Marlow
Paul Kaiser
Hans – Inhaber des Schwedenschimmels