Am nächsten Tag, es waren noch etwas über 300 Km zu fahren, kamen sie wieder, die Gedanken an das bevorstehende Event., dass heute seinen Höhepunkt und auch sein Ende finden wird. War ich doch bisher Erwachsene als Publikum gewöhnt – Kinder sind ein sehr ehrliches und erlesenes Publikum – wie werden sie das Projekt aufnehmen und beurteilen? Welche Worte werde ich finden? Und dann fing es an, das Herzklopfen, das Lampenfieber kam und beherrschte die Szene. Gegen 10:45 Uhr war es – noch eine Kurve, eine Seitenstraße – dann fuhr „Freya“, so heißt mein Auto, auf den Parkplatz, der Motor verstummte und ich war noch einmal allein mit meinen Gedanken, Gefühlen und mit dem Herzklopfen.
Kurz darauf wurde ich von Frau Kunz-Freudenberg vor der gläsernen Eingangstür der Schule empfangen und begrüßt. Noch war es still. Als ich durch die Tür trat war es mir, als hätte ich eine andere Welt betreten; Alles war voller Leben, Lärm, aufgeregtem Geschnatter, Kinder in Kostümen flitzten hin und her, Eltern und Schüler aus anderen Klassen nahmen im Zuschauerraum die Sitzplätze ein, Blitze schossen aus Fotoapparaten und bannten die kunterbunte Szene in digitale Formate. Dann kam der Satz… „Kinder, Stan Marlow ist hier…“ Nano-Sekundenlanges erstarrtes Schweigen. Doch dann streckten sich kleine Hände, die in Kostümen steckten, mir entgegen. Hände mussten „abgeklatscht“ werden und ein kleines Mädchen, das lange, blonde, gelockte Haare und freche lebenslustige Augen hatte fragte mich: Bist Du auch so aufgeregt wie ich? Bei Gott, ich war aufgeregt! Ich gab es zu – und sagte ihr, dass sie dieses Gefühl genießen soll. Und schon war sie im Gewühl zwischen den Bäumen, einer Elster, einem Grashüpfer…verschwunden.
Da stand ich nun – seitlich der Bühne. Verstohlene musternde Blicke von den Eltern, den Lehrern, Erziehern und den anderen Schülern, die sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollten, spürte ich. Es ist schon ein „komisches“ Gefühl – doch wenn ich das Wort „komisch“ beschreiben sollte, ich könnte es nicht. So stand ich äußerlich die Ruhe selbst und innerlich tobten die Gefühle angeheizt durch das Lampenfieber, an einer Wand gelehnt und sah auf die Bühne.
Der Vorhang teilte sich und ein kleiner Junge mit einem großen Cello trat auf die Bühne. Die kleinen Finger der linken Hand drückten die Stahlseiten und als der Bogen, ganz leicht geführt sich in Bewegung setzte, erklangen kleine dunkle Kaskaden von Tönen. Zwei Geschichten, „Pitti, das Rehkitz und Peter, das kleine Häschen“, aus meinem Kinderbuch „Was krabbelt was im Morgentau“, die von den Kindern der 1. Klasse zu einem Theaterstück umgeschrieben wurden, erfuhren nun ihre Ur-Aufführung. Ich erfuhr ein Bad der Gefühle; ich lachte, fieberte mit den Figuren, hatte „Angst“ um das kleine Häschen, verfolge das Geschehen mit, hielt den Atem an, als die Spannung am Größten war und war erleichtert, als alles „gut ausging“.
Meine Hände glühten vom vielen Applaus. Die Kostüme waren einmalig, die Requisiten liebevoll gestaltet – Kindertheater in einer kaum noch zu toppenden Qualität wurde präsentiert. Was mich besonders berührt hat war die Eindeutigkeit und Professionalität des darstellenden Spieles. Wie Herr Fischer, Leiter dieser Schule mir später mitteilte, ist es auch eine Aufgabe des Pädagogen, den jungen Menschen im darstellenden Spiel zu unterrichten, weil er damit in eine enge und direkte Beziehung zwischen der Wirklichkeit und der Fantasie und nicht nur der Fantasie, sondern auch seiner Moral und Weltsicht etc. eingeht.
Doch lassen wir erst ein Mal Alina sprechen, die neben Annabell durch das Programm geführt hat: „… Wir hoffen, dass auch Stan Marlow seine Geschichten aus seinem Buch wiedererkannt hat. Vielleicht kommt er zu uns auf die Bühne…“ Da war es wieder, das Herzklopfen. Den Beifall der anderen nahm ich gar nicht so richtig war. Ganz ehrlich; er sollte nicht für mich sein. Was habe ich schon getan, dass ich ihn verdiente? Als ich auf dieser kleinen Bühne stand und so in die Runde schaute, tobten in mir die Gefühle und die Frage: Was sage ich zu den Zuhörern, den Kindern und den Akteuren? So ein allgemeines Bla bla sollte nicht meinen Mund verlassen.
Still war es geworden. Die Kinder, die neben mir auf der Bühne standen sahen zu mir auf, die anderen warteten…“Das Projekt„, so begann ich, „das nun schon eine ganze Zeit läuft, findet hier seinen Abschluss. Das die Kinder der 1. Klasse an mich gedacht und mir eine Einladung geschickt hatten, fand ich total genial. Es ist mir eine Freude und eine Ehre hier sein zu dürfen. Mein Dank gilt dem Leiter dieser Schule und den Lehrern, die gezeigt haben, dass auch andere Wege gegangen werden können, um den Auftrag, den eine Schule hat, lebendig und interessant zu gestalten.“ Dann hockte ich mich zu den Kleinen, sah in ihre Augen… „Geschichten zu schreiben“, sagte ich ihnen, „ist die eine Sache, aber diese Geschichten lebendig und fühlbar werden zu lassen, das ist eine andere Kunst. Es war mir eine Freude zu erleben, wie ihr meine Figuren, die ich einst erdacht und niedergeschrieben habe, habt lebendig und fühlbar werden lassen. Doch es gibt noch mehr Künstler unter uns, die ich erwähnen möchte. Durch ihre Musik wurden die Pausen kurzweiliger, ihre Musik verbanden die Geschichten und ihre Musik gab diesem Event einen würdigen und entsprechenden Rahmen. Ihr Kleinen, so wie ihr alle hier seid und mir zuhört; Ihr seid heute die wahren, großen Künstler dieses Tages. Euch gilt mein Applaus…“ Mein Applaus dröhnte durch die Stille und den Saal. Nur kurz blieb er allein – über 50zig Hände stimmten ein und bald wurde aus dem Applaus ein wahrer, rauschender Akkord der Begeisterung.
Für mich fand ich eine neue Definition des eben Erlebten:
Das Ziel des darstellenden Spieles ist die Vermittlung von Möglichkeiten, wie die Spielfähigkeit der Kinder kontinuierlich weiterentwickelt und wie sie zu Spielergebnissen geführt werden können, um vor Publikum bestehen zu können.
Kurze Zeit später hatte ich Gelegenheit bei einem Eis mich mit den „großen“ Künstlern zu unterhalten. Eigentlich waren alle froh, dass das Projekt so gut verlaufen war, die Kinder, die Lehrer, die Pädagogen, die Erzieher und ich. Und doch waren Stimmen da, die sagten, schade, dass es schon vorbei ist. Die Kinder freuten sich auf die Ferien, auf die Zeit mit ihren Eltern und Freunden, die Erwachsenen auf die Ruhe und die Zeit der Entspannung.
Als die meisten Kinder mit ihren Eltern gegangen waren, hatte ich das Gefühl nicht alle gewürdigt und bedacht zu haben – hatte ich wirklich jemand vergessen zu danken? Was für Gedanken sind noch in meinem Inneren, die unbedingt ausgesprochen werden müssen?
Eines muss gesagt werden:
Wenn ich hier von mir und den Applaus erzähle, dann nur deshalb, weil es der „Zufall“ so wollte, dass ich dabei war. Ich gehöre eigentlich gar nicht in diese Geschichte.
Die eigentliche Gedanken, Ideen, Mühen und Arbeit hatte, gestattet mir, wenn ich den Titel einfach beiseite lasse, Frau Kunz-Freudenberg. Ein ganzes Schuljahr dauerte dieses Projekt. Man stelle sich den Zeitaufwand vor, die Investitionen an pädagogischem Fachwissen und Können, den Nerven, das sich immer wieder Hinterfragen, Kraft immer wieder aufs Neue zu finden um die Kinder zu motivieren und begeistern… und sicher habe ich vieles vergessen zu erwähnen, weil ich es nur erahnen kann … all das neben der „normalen“ Lehrstoffvermittlung. So viel mir bekannt ist, hat sie dieses Projekt in weiten TeileSchuljahr, Jugendlichern ausschließlich allein gestaltet. Nur wenige wissen von ihrer Arbeit und Wirken. Der Applaus, „das Brot des Künstlers“, bekamen andere – für sie nur das Wissen, dass alles wieder einmal zur Zufriedenheit aller verlief. pädagogisches Fachwissen und Expertise.
Dem Schulleiter habe ich eine E-Mail geschrieben, in der ich ihm diese Gedanken mitteilte. Ich hoffe, dass er einen Weg und Worte findet, um diese herausragende Leistung zu würdigen.
Stunden später fuhr ich mit „Freya“ die Autobahn `gen München. Es war kaum Verkehr, der Motor summte leise und aus dem Radio spielte dezente Musik von Bruckner. Meine Gedanken waren noch immer bei der Bühne, den Kindern und bei der Aufführung. Ab und zu stahl sich ein Lächeln auf meinen Lippen. Was wohl ein stiller Beobachter sich denken würde, wenn mich so sehen würde? Es gibt im Leben Momente, die ich nicht weder missen, noch vergessen möchte – dieses eben erlebte ist so ein Moment. Nur der Beifall, der nicht mir gehörte, ist ein Wermutstopfen. Ich war nur ein Statist, nicht mehr. So gebe ich ihn auf dieser Weise an die Sozialpädagogin Kunz-Freudenberg weiter. Ihre großartige Leistung ist es zu verdanken, dass ich meine Figuren leb- und fühlbar erleben durfte. Ebenso verstand sie es den Kindern zu vermitteln, das der pädagogische Anspruch, den meine Geschichten haben, klar und deutlich herausgestellt wurde und die Botschaft: eine Hommage an die Familie – für jeden, egal ob Mann, Frau, Jugendlicher oder Kind, verständlich näher gebracht wurde.
Ich habe zu danken… zu danken, dass ich diesen Moment erleben durfte!
Vielleicht werden diese zwei Geschichten, nach dem Urlaub das eine oder andere Mal, für die, die Kindertheater und darstellende Kunst mögen, aufgeführt. Vielleicht schaffen es dann die Reporter der Morgenpost und der Freien Presse, die rechtzeitig eingeladen und ihr Kommen zugesagt hatten, vorbeizuschauen.
Die Akteure:
Annabell und Alina (Klasse 3) – sie führten durch das Programm
Pitti das Rehkitz: (Klasse 1) Peter, das kleine Häschen (Klasse1) Musiker
Pitti das Rehkitz | Paula | Peter | Jannes | Cello | Elias (Klasse 3) |
Mutter Reh | Luci | Watteschwänzchen | Savanna | Klavier | Daniel (Klasse 4) |
Jäger | Leon | Flopsi | Lina | Klavier | Vincent (Klasse 3) |
Hund | Malte | Topsi | Joann | Gitarre | Jessica (Klasse 3) |
Elster | Merle | Fuchs | Nils | Gitarre | Vivian (Klasse3) |
Grashüpfer | Hannes | Herr Grisgram | Leon | E-Gitarre | Marie-Luise (Klasse 3) |
Haase | Alisia | Hund „Fass an“ | Toni | Flöte | Dustin (Klasse 4) |
Maus | Yannick | Elster | Alina | ||
Vorleser: | Melia | Mutter Haase | Ben | ||
Joshi | Vorleser: | Dean | |||
Joshi |
Arrangement, Kostüme, Choreographie, Bühnengestaltung:
Dipl. Sozial- und Kunstpädagogin Frau Kunz-Freudenberg, Erzieherin Frau Einenkel